6 - Lesen und Verstehen neutestamentlicher Texte. Bericht von der Arbeit an einer kritischen Hermeneutik des Neuen Testaments [ID:1683]
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Termineutik ist die Lehre vom angemessenen Verstehen und vom Auslegen von Texten.

Das Neue Testament stellt ein Corpus ursprünglich selbständiger und voneinander

großenteils unabhängiger Schriften dar, die zu einem späteren Zeitpunkt zusammengestellt wurden

und dann als Corpus kanonisiert wurden. Die christliche Literatur setzt also sehr

unspektakulär, kaum beachtet, gleichsam zufällig, mit den Gemeindebriefen des Paulus ein.

Trotzdem werden diese bald Vorbilder und Auslöser weiterer urchristlicher Briefe,

die Paulus Schüler in seinem Namen schreiben. Dadurch entsteht in ein bis zwei Generationen

eine urchristliche Briefliteratur, die nun einen ersten eigenen Sprach-, Verstehens- und

Interpretationsraum darstellt. Die neutestamentliche Briefliteratur lässt sich weitgehend als ein

doppeltes Corpus verstehen, als ein Basiskorpus paulinischer Briefe und als ein erweitertes

Corpus von Verstehens- und Interpretationsanstrengungen zu diesem Basiskorpus. In der urchristlichen

Briefliteratur selbst beginnt also Hermeneutik neutestamentlicher Texte, hier als praktisches

Verstehen als praktische Interpretation. Nun stehen neben der Briefliteratur im Neuen Testament

die vier Evangelien und ich möchte mich ihrer Entstehungs- und Auslegungsgeschichte zuwenden.

Nach dem Tode des Paulus und der bekannten persönlichen Jünger Jesu, das ist der Zeitraum

von circa 42 bis circa 62 oder 64, 20 Jahre, es handelt sich um die Apostel Petrus, um den

Herrenbruder Jakobus und um die beiden Zebedaiden, von deren Märtyrertod wir eben in dem Zeitraum

von 42 bis 62 erfahren, also nach dem Tode des Paulus und seiner großen Mitmissionare,

bildete sich ein weiterer Kern, ein Nukleus christlicher Literatur, das Evangelium. Das

Markus Evangelium verarbeitete umfangreiche Gemeindetraditionen über Jesus von Nazareth

zu einem Buch, das nun die Geschichte des öffentlichen Wirkens und des Todes Jesu

episodisch erzählt. Das Markus Evangelium entstand um 70 nach Christus, also circa zehn

Jahre nach dem Tode der großen Apostel. Sein Verfasser ist nicht namentlich bekannt, es ist

nicht der Petrus Schüler Markus. Zu der in seiner Zeit modernen und erfolgreichen Gattung des Briefes

in der Gestalt des christlichen Gemeindebriefes trat damit eine neue, eine generative Literaturgattung,

die wir unter dem Namen Evangelium kennen. Der Verfasser des Lukas Evangeliums bezeichnet sie

sehr sachgemäß als die Hegesis, das heißt als einen erzählenden und zugleich belehrenden Bericht.

Dieser Jesus Bericht des Verfassers des Markus Evangeliums war der erste uns überlieferte,

dem drei andere noch im ersten Jahrhundert folgten, das kanonische Matthäus, Lukas und

Johannes Evangelium. Die Verfasser dieser Evangelien kannten und benutzen in unterschiedlicher Weise das

Markus Evangelium. So entstand ein zweites komplexes Beziehungs- und Interpretationsfeld dieser

urchristlichen Literatur. Die Evangelien sind Zeugen unterschiedlichster Verstehensvorgänge.

Die Jesuslogien und die Berichte seiner Taten und der Passionsbericht durchliefen schon im

Stadium ihrer mündlichen Tradierung Veränderungsprozesse. Diese Veränderungsprozesse waren Ausdruck

eines jeweiligen neuen Verstehens. Also Traditionsprozesse waren auch hermeneutische Prozesse.

Dasselbe gilt für den Umgang der Verfasser der drei großen Evangelien mit dem Markus Evangelium,

denn das Markus Evangelium ist für seine Nachfolger nicht etwa ein heiliger Text,

sondern eine Informationsquelle, deren Nachrichten über Jesus nach der Maßgabe des Verstehens des

jeweiligen Evangelisten Verwendung und Kommentierung fanden oder aber wegfielen.

Diese beiden literarischen Felder, die neutestamentlichen Briefe und die vier

neutestamentlichen Evangelien stellen also jeweils einen sehr dichten Traditions- aber

auch Interpretations- Zusammenhang dar. Jesus Tradition wurde formiert, tradiert, korrigiert,

redigiert und interpretiert. Paulus formierte selbst die ersten Themen und sprachlichen und

formalen Muster einer christlichen Theologie. Seine Schüler wiederholten, variierten, vertieften

oder verkürzten diese Themen und ihre Sprache. Sie verloren durchaus wichtige und genuine

Paulus-Themen, zum Beispiel die Gerechtigkeit Gottes. Andere fanden sie, so etwas wie das Thema

christliches Leben in einem christlichen Eukos, in einem christlichen Hausverband. Diese Prozesse

von Bewahrung, Benutzung, Veränderung und Innovation sind Facetten unterschiedlicher

Verstehensmöglichkeiten. Einen ganz besonderen Beitrag zum Verstehen innerhalb der

neutestamentlichen Schriften stellen die drei Johannesbriefe dar, mindestens der erste

Teil einer Videoserie :

Presenters

Prof. Dr. Oda Wischmeyer Prof. Dr. Oda Wischmeyer

Zugänglich über

Offener Zugang

Dauer

00:29:22 Min

Aufnahmedatum

1999-12-16

Hochgeladen am

2018-05-08 09:24:23

Sprache

de-DE

Tags

Collegium Alexandrinum Wischmeyer neues Testament
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